Was hätten Sie denn der Telekom geraten?

Im Prinzip geht es um mehr Leistungsgerechtigkeit: Die viel nutzen, sollen auch mehr zahlen. Die Flatrate dagegen ist eine Mischkalkulation, die aber nur solange vertretbar ist, wie die Unterschiede in der Nutzung nicht zu stark sind. Den vielen Wenig-Nutzern ist aber gar nicht klar, dass sie wenige Viel-Nutzer mitfinanzieren. Das Thema würde ich daher zunächst besser kommunikativ vorbereiten, bevor ich mich damit ins mediale Sommerloch wage. Man hätte sich auch überlegen können, die sehr preisaffinen Kunden mit der Zweitmarke Congstar aufzufangen und zunächst dort die Flatrate zu beschneiden. Weitere Optionen stecken vermutlich noch in der rechtlichen beziehungsweise netzpolitischen Klärung.

Vodafone hat sich sofort von solchen Plänen distanziert. Ist das nur eine Art Hinhaltetaktik?

Das ist wohl Kundenakquisition. Wenn die Telekom ernst macht, dann wandern vor allem Vielnutzer ab. Diese Nutzer ändern beim neuen Anbieter aber wohl kaum ihr Verhalten und sind nicht besonders profitabel. Vergleichen Sie es mit einer Bank, bei der Neukunden hohe Festgeld-Zinsen bekommen: Die Bank akzeptiert – zeitlich begrenzt – geringere Margen, um sich Marktanteil zu „kaufen“. Konkurrenten der Telekom, die am unlimitierten Access festhalten, haben aber keine zeitliche Befristung für fehlende Profitabilität und müssen später vielleicht doch Änderungskündigungen machen, wenn sie ihre Kosten nicht in den Griff bekommen. Eine Vodafone hält das sicher länger aus als viele kleinere Anbieter, weshalb eine Marktbereinigung absehbar ist. Viel spannender finde ich aber die Reaktion der Kabel-Anbieter - also Unity Media und KDG. Die könnten in ihren Netzen und Kostenstrukturen noch genug Luft haben, die unbegrenzte Flat eine ganze Weile weiterhin anzubieten. Wenn sie aber mit vergleichsweise wenigen Vielnutzern ihre Netze vollmachen, dann werden sie sehr bald faktisch nicht mehr die Bandbreiten liefern können, die sie heute vollmundig bewerben. Und eine Aufrüstung der Netze könnte komplex und teuer werden.

Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Wettbewerber diese Schwachstelle „drohende Drosselung“ in der Werbung für sich nutzt? Ist so etwas überhaupt sinnvoll?

Interessanter wäre es, wenn tatsächlich niemand mit dem Thema rausgehen würde. Ein solcher Branchenkonsens wäre rational. Wenn das sauber und ohne kartellrechtlich kritische Absprachen passiert, wäre das schon ein Coup. Ich glaube aber, dass sich einige nicht zurückhalten werden können diese Vorlage zu nutzen, schon weil die wirtschaftlichen Probleme zeitlich verzögert auftreten. Manch einer wird opportunistisch hoffen, die finanzielle Wirkung einer heute erfolgreichen Kampagne in einigen Monaten nicht mehr verantworten zu müssen.

Eine Flut von Online-Diensten - sei es Musik- und Video-Streaming oder Cloud-Anbieter - wird von den Verbrauchern in immer größerem Umfang genutzt, der Traffic steigt massiv an. Ist also das Ende der echten Internet-Flat abzusehen?

Solange das Nutzungswachstum in etwa dem Preisverfall der Produktionskosten entspricht, gibt es keinen Grund, die Flatrate abzuschaffen. Das faszinierend einfache Preismodell hat sich bewährt. Die meisten Nutzer werden heute immer noch nicht einschätzen können, wie viel Volumen sie verbrauchen und welche Bandbreite für ihre Nutzung ausreichend wäre. Die Flat ist auch für sie das einfachste Preismodell.

Wie könnten denn überhaupt die DSL-Tarifmodelle in wenigen Jahren aussehen?

Es gibt spannende erste Erfahrungen im Mobilfunk mit diesen Preismodellen, wie sie nun für das Festnetz vorgeschlagen werden. Ich halte den Vorstoß in "metered broadband" dennoch für eine temporäre Erscheinung – ähnlich der DSL-Volumentarife vor etwa zehn Jahren. Der Wettbewerb hat diese Tarife wieder verdrängt. Man bot günstige Tarife mit minimalen Inklusiv-Volumen an, um an der Mehrnutzung zu verdienen. Die Kunden nahmen aber lieber einen größeren Tarif für mehr Sicherheit bei der Rechnungshöhe. Also legten die Anbieter immer mehr Volumen in die Tarife, um am Ende wieder bei der Flat zu landen.

Ich könnte mir ebenfalls vorstellen, dass Tarife stärker über die Bandbreite differenzieren. Während man bei Autos begriffen hat, dass die PS-Zahl nicht alles ist, wird der Internet-Zugang nach wie vor nach größter Bandbreite verkauft - nicht jeder braucht die. Zumal im Privatkundensegment nur von "maximal erreichbarer" Bandbreite die Rede ist, während dies im B2B-Bereich "mindestens verfügbar" heißt. Letzteres ist viel entscheidender, wenn ich zum Beispiel Videos über das Netz schauen möchte.

Nach Jahren der ständigen Preisrückgänge beim DSL: Wird der Internet-Anschluss für Endverbraucher mittelfristig wieder teurer?

Man muss die Preise in Relation zur gebotenen Leistung sehen. Die Preise sind in den letzten zehn Jahren extrem gesunken – bei gleichzeitig massiver Bandbreiten-Steigerung. Das kann auf die Dauer nicht so weitergehen. Ich glaube aber auch, dass das Wachstum des Internettraffics nicht dauerhaft exponentiell sein wird. Vermutlich werden Video-on-Demand und Streaming in HbbTV-Angeboten nochmal einen Schub bewirken, da sie sich auf die Prime-Time konzentrieren. Ich glaube aber langfristig eher an ein lineares Traffic-Wachstum, das von der Kostenseite durch Effizienzwachstum beherrschbar sein wird.

Wie müssen denn Maxdome, Watchever & Co. auf ein solche Entwicklung der anstehenden Netzdrosselung reagieren, schließlich hängt ihr Geschäftsmodell davon ab?

An deren Stelle wäre ich entspannt: Wenn der Videostream mittendrin abbricht, weil das Volumen aufgebraucht ist, dann wird der Kunde dafür wohl kaum den VoD-Dienst verantwortlich machen. Sondern er ärgert sich eher über den DSL-Anbieter. Mittelfristig müssen wir schauen, wie sich die Budgets verschieben. So könnte es sein, dass viele zähneknirschend mehr Geld für den Access zahlen, dafür aber statt der Paid-Services doch wieder Piraterie-Angebote nutzen.

Die Telekom hat einen Mobilfunk-Tarif in Kooperation mit Spotify bei dem das Musik-Streamen nicht auf das Inklusivvolumen angerechnet wird. Werden solche exklusive Kombi-Angebote zunehmen und auf andere Anbieter von Video-Streaming oder Cloud-Diensten ausgedehnt?

Das ist zu erwarten. Alle Telekommunikationsunternehmen suchen nach neuen Geschäftsmodellen jenseits vom Access. Nur wenige verdienen damit bislang Geld. Die Eigenentwicklung solcher Dienste kostet viel Geld. Die Netze sind aber schon da. Solche Angebote helfen, mit den bestehenden Assets mehr zu verdienen, etwa als Einstieg in Quality-of-Service-Angebote, bei denen die Qualität des Dienstes gewährleistet wird oder eben ein scheinbarer Preisvorteil für den Kunden suggeriert wird.

Wie ist das überhaupt mit der Netzneutralität zu vereinbaren?

Bei Netzneutralität geht es darum, jedes Bit gleichberechtigt weiterzuleiten. Eigenem Traffic Vorrang einzuräumen wäre vermutlich ein Verstoß. Eigenen Traffic nicht zu bepreisen hat aber nicht zwingend etwas mit Netzneutralität zu tun. Natürlich fördere ich dadurch eigene Dienste und dehne meine Marktmacht auf neue Märkte aus. Das betrifft aber eher das Kartellrecht als die Netzpolitik.

Ich bin mir aber sicher, dass wir in Zukunft auch Tarif-Initiativen sehen werden, die die Gleichberechtigung von Traffic in Frage stellen. Es gibt noch immer einen signifikanten Anteil "urheberrechtlich fraglichen" Verkehrs. Zugespitzt könnte man von "gutem" und "bösem" Verkehr reden. Ich könnte mir vorstellen, dass es Mehrheiten gibt, bösen Verkehr nicht gleichzubehandeln.

In Deutschland wird jetzt erstmals wirklich eine Netzneutralitätsdebatte geführt. Nur die Niederlande hat bisher ein Gesetz. Glauben Sie, dass die Bundesrepublik jetzt folgt?

Die Politik neigt im Zweifel zu schnellen Regelungen. Ob ein eher wahlkampftaktisch motiviertes Gesetz die gebotene Weitsicht enthalten kann, darf bezweifelt werden. Gerade weil Politik nicht immer rational ist, ist es schwer, hier eine Prognose zu treffen.

Für manche Kommentatoren und Blogger scheint die Drosselung vor allem eines zu sein: eine echte Bedrohung des Traums vom freien Internet.

Da würde ich die Kirche im Dorf lassen. Es geht darum Nutzung und deren Kosten wieder in Einklang zu bringen. Die Drosselung der Flatrate nach Volumen hat sicher nichts mit der Beschneidung des freien Netzes zu tun.


Autor: Ulrike App

ist bei W&V Online für Digitalthemen zuständig. Und das hat nicht nur mit ihrem Nachnamen zu tun, sondern auch mit ihrer Leidenschaft für Gadgets und Social Media. Sie absolvierte vor ihrer Print-Zeit im Marketing-Ressort der W&V die Berliner Journalisten-Schule und arbeitete als freie Journalistin.